Spar es Dir!

Wie man Krebspatienten die falschen Komplimente macht.

Kaum hatte die Therapie begonnen, hörte ich es an jeder Ecke: „Gut siehst du aus!“ Was nett gemeint ist, setzt Krebspatienten aus verschiedensten Gründen unter Druck. Vom Zweifel an der eigenen Therapie über die Verzweiflung über die Krankheit bis zur reinen Absurdität dieser Oberflächlichkeit: Ich will euch erklären, warum Komplimente manchmal fehl am Platz sind und wie man stattdessen mit uns umgehen kann.

Dies ist ein Text für Angehörige, Freunde, Bekannte, Kollegen – für all die unter euch, die mit Krebspatienten umgehen (müssen) und denen daran gelegen ist, uns etwas Gutes zu tun. Statt uns vermeintliche Komplimente zu machen, hört uns zu. Fragt nach. Bietet Hilfe an. Aber bitte, bitte bringt uns nicht in Verlegenheit. Denn das ist es, was Komplimente tun können. Entweder streuen sie Salz in die Wunde, weil uns nur zu bewusst ist, wie krank wir eigentlich aussehen. Oder es vermittelt uns das Gefühl, dass unser Erleben nicht genug ist. Dass wir uns anstellen würden und ihr glaubt, es könnte uns ja schlechter gehen. 

Seid unsere Verbündeten und spart euch die Oberflächlichkeit.

„Du siehst aber gut aus!“ – Danke, nein!

Es gibt so Dinge, die man als Krebspatientin ungern hört. Natürlich gehört dazu vor allem die Diagnose. Aber manchmal kommen die Dinge eben nicht so wie sie sollen. Zu den Dingen, die wir dann hören wollen, gehören aber garantiert nicht:

  • „Du siehst aber gut aus!“
  • „Dafür wirkst du aber erstaunlich fit!“
  • „Du kannst die Glatze aber echt gut tragen!“

Jap, gerade Letzteres hat man so mehr als einmal zu mir gesagt. Ich sehe den guten Willen dahinter. Ich erkenne die Hilflosigkeit in so manchem Kompliment an. Ich weiß, wie viele es doch wirklich nur gut meinen. Aber hat mich mal jemand gefragt, wie hilfreich das ist? Bislang noch nicht. Irgendwann hatte ich die ganzen Komplimente so satt, dass ich sogar bei Instagram darüber vor mich hingeschimpft habe.

Für mich waren diese Komplimente der blanke Hohn: Während ich bei jedem Blick in den Spiegel dabei zusah, wie die, die ich einmal kannte, verschwand, lobten andere eben diesen Anblick geradezu überschwänglich. Ich fühlte mich wie im falschen Film.

Die Banalität der Oberflächlichkeit

Warum mich diese Dinge teilweise so verletzt haben, mag manch einer fragen. Ich erkläre es gerne: Weil manches Kompliment sich so anfühlte, als ob es mein Erleben in Frage stellte. Gerade in Tiefphasen der Chemotherapie, wenn es mir besonders dreckig ging, wenn die Blutwerte im Keller waren, die Knochen schmerzten, die Hoffnung sank – da habe ich mir die meiste Mühe mit mir selbst gegeben. Und die meisten Komplimente kassiert. Während ich nur damit beschäftigt war, meine Krankheit so gut es ging vor mir selbst zu kaschieren, nutzten andere die Gelegenheit, mich für meine Optik zu loben.

Das Problem daran: Es fühlte sich so falsch an. Mir zu sagen, wie gut ich aussah, während ich innerlich fürchterliche Schmerzen litt, war geradezu absurd. Es war die stumme Frage danach, ob all das, was ich erlebte, was ich beschrieb, wirklich so schlimm war, wie ich sagte. Es war der stumme, nicht formulierte Anspruch, dass ich doch auch krank auszusehen hatte, wenn ich doch sterbenskrank war. 

Sicherlich hat niemand in Zweifel gezogen, dass die Sache ernst war. Aber in so manchem Kompliment hörte ich geradezu die Neugier, ob ich nicht in meinen Schilderungen doch etwas übertrieb.

Das Bild vom Leid

Problem hinter den Komplimenten gegenüber Todkranken: Das Bild, das unsere Gesellschaft von Krankheit hat, lässt keinen Platz für Normalität. Wir erwarten, dass diejenigen, die leiden, auch auszusehen haben, als ob der Tod zum Kaffee auf Besuch sei. Wir erwarten keine von der Eiseskälte geröteten Wangen, keine sorgsam ausgewählten, modischen Mützen, keinen funkelnden Schmuck und erst recht kein optimistisches Lächeln. Film und Fernsehen haben uns beigebracht: Wer wirklich krank ist, der ist fahl und schmal, gebeugt und niedergeschlagen.

Wann immer sich ein Krebspatient also entsprechend hergerichtet zeigt, sobald eine Betroffene ihr Make-Up auf- und ihren Schmuck anlegt, gibt es immer wieder Menschen, die das beachtenswert finden. Die meinen, durch ein entsprechendes Kompliment darauf hinweisen zu müssen, es hervorheben zu müssen. 

Doch damit machen sie die Situation nur noch absurder. Als Krebspatientin interessiert mich nicht, wie ich aussehe. Also doch, schon. Nicht umsonst sind die Make-Up-Kurse der DKMS für Betroffene solch eine Wohltat, weil sie uns die Gelegenheit geben, dem kranken Alltag ein wenig zu entfliehen. Aber gerade, wenn wir vor anderen stehen, wollen wir nicht, dass die Oberflächlichkeit im Vordergrund steht. Wir wollen als Menschen bemerkt werden. Krebs geht tief. Krebs ist existenziell bedrohend. Wir wollen leben, genießen, Gespräche führen, die uns ergreifen. Keine Komplimente für eine Optik, die im Laufe der Zeit sowieso vergeht – auf dem einen oder anderen Wege.

Deshalb habe ich nur diese eine Bitte: Wann immer ihr mit Betroffenen zu tun habt, fragt, was sie brauchen. Wie sie sich fühlen. Wenn dieses Gespräch eine Richtung entwickelt, in der das Kompliment wirklich angebracht ist – bitte, Feuer frei. Aber seid so lieb und behaltet diese Oberflächlichkeiten ansonsten für euch.

Mutmacher
Mein Rat an alle Betroffenen: Sagt, wenn euch ein Kompliment stört. Geht offen damit um, wie schwer es euch fällt, diese Dinge anzunehmen. Weist darauf hin, wenn etwas unangebracht ist. Es ist nicht unsere Aufgabe, dankbar zu sein. Es ist ihre Aufgabe, Rücksicht zu nehmen.

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