100 % Schwerbehinderung bei Krebs: Wann Krebspatient:innen Anspruch haben und welche Vorteile es gibt
Eine Krebsdiagnose verändert nicht nur das Leben, sondern auch den rechtlichen Status. Viele Patient:innen fragen sich: Habe ich Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis? Wie hoch ist der Grad der Behinderung (GdB) bei meiner Krebserkrankung? Und was bedeutet eine 100 % Schwerbehinderung konkret für meinen Alltag?
In diesem Beitrag findest Du alle wichtigen Informationen zum Grad der Behinderung bei Krebs, den Vorteilen eines Schwerbehindertenausweises und zur sogenannten Heilungsbewährung.
Was bedeutet „Schwerbehinderung“ im Zusammenhang mit Krebs?
Der Gesetzgeber erkennt an, dass eine Krebserkrankung mit körperlichen, seelischen und sozialen Einschränkungen einhergehen kann. Daher können Betroffene – auch ohne sichtbare Behinderung – einen Grad der Behinderung (GdB) und ggf. einen Schwerbehindertenausweis beantragen.
Der GdB wird in Zehnerschritten zwischen 20 und 100 festgelegt. Ab einem GdB von 50 oder mehr gilt eine Person als schwerbehindert.
Wann erhält man 100 % Schwerbehinderung bei Krebs?
Ein GdB von 100 wird in folgenden Fällen zuerkannt:
- bei fortgeschrittenen oder metastasierten Tumoren
- wenn die Erkrankung nicht operabel oder nicht heilbar ist
- bei starken funktionellen Einschränkungen durch die Therapie oder den Tumor selbst
- bei Komplikationen nach Operationen, z. B. nach Amputation oder Organentfernung
- bei Krebserkrankungen in besonders belastenden Organen, z. B. Lunge, Gehirn, Bauchspeicheldrüse
Auch bei Darmkrebs mit künstlichem Darmausgang (Stoma) oder Brustamputation mit Lymphödem kann je nach Ausprägung ein GdB von 100 anerkannt werden.
Was ist die Heilungsbewährung?
In vielen Fällen wird die Schwerbehinderung bei Krebs zunächst befristet zuerkannt – in der Regel auf fünf Jahre. Diese Zeit wird als Heilungsbewährung bezeichnet. Sie bedeutet:
- Die Erkrankung gilt als potenziell heilbar, aber ein Rückfall (Rezidiv) ist möglich.
- Der Schwerbehindertenstatus dient dem Schutz in dieser sensiblen Zeit.
- Nach Ablauf der Frist erfolgt eine Überprüfung durch das Versorgungsamt.
Wird in dieser Zeit kein Rückfall festgestellt, kann der GdB reduziert oder aberkannt werden. Bei chronischen Verläufen oder Rückfällen bleibt er bestehen oder wird sogar erhöht.
Welche Vorteile bringt ein Schwerbehindertenausweis?
Der Schwerbehindertenausweis bringt zahlreiche rechtliche, finanzielle und berufliche Vorteile mit sich. Dazu gehören:
- Besonderer Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis
- Zusätzlicher Urlaubsanspruch (mind. 5 Tage pro Jahr)
- Steuerfreibeträge (zwischen 1.420 und 3.700 Euro jährlich je nach GdB)
- Frühere Altersrente (unter bestimmten Voraussetzungen)
- Nachteilsausgleiche im öffentlichen Nahverkehr
- Parkerleichterungen, ggf. mit Merkzeichen
Je nach GdB und Merkzeichen (z. B. G, aG, H) ergeben sich weitere Erleichterungen, etwa bei der Kfz-Steuer oder beim Rundfunkbeitrag.
Wer stellt den Antrag – und wo?
Ein Antrag auf Feststellung des GdB muss bei der zuständigen Versorgungsbehörde im Bundesland gestellt werden. Der Antrag ist kostenlos.
Mitzubringen sind:
- Ärztliche Befunde und Berichte (Diagnose, Therapie, Verlauf)
- Entlassungsbriefe aus Kliniken
- ggf. Nachweise über Operationen, Funktionseinschränkungen oder Reha-Maßnahmen
Der Antrag kann auch online oder mit Hilfe von Sozialberatungsstellen, dem Sozialdienst in der Klinik oder über Patientenorganisationen gestellt werden.
Beispiele für GdB-Einstufungen bei verschiedenen Krebsarten
Je nach Tumorart, Stadium und Behandlung können folgende GdB-Werte vergeben werden (Beispiele aus dem medizinischen Dienst und betanet.de):
- Brustkrebs nach Operation und Strahlentherapie: GdB 50–100, je nach Ausmaß
- Brustamputation mit Lymphödem oder Armfunktionsverlust: GdB bis 100
- Darmkrebs mit Stoma: GdB 60–100, je nach Rückbildungschance
- Lungenkrebs mit Lungenlappenentfernung: GdB 70–100
- Hautkrebs (Basaliom): meist kein GdB, außer bei ausgedehnten Rezidiven oder Komplikationen
- Duktales Carcinoma in situ (DCIS): kann in Einzelfällen einen GdB von 30–50 begründen, abhängig von Therapie und Funktionseinschränkungen
Gilt der Schwerbehindertenstatus auch nach 5 Jahren weiter?
Nur, wenn:
- innerhalb der fünf Jahre ein Rückfall oder eine neue Krebserkrankung auftritt
- dauerhafte Einschränkungen bestehen bleiben (z. B. Stoma, Lymphödem)
- die Erkrankung nicht als geheilt gilt
Andernfalls kann der GdB auf unter 50 gesenkt oder ganz aufgehoben werden. Ein Antrag auf Weitergewährung muss rechtzeitig gestellt werden, wenn der Ausweis befristet ist.
Was passiert bei Aberkennung oder Herabstufung?
Wird der GdB reduziert, können folgende Änderungen eintreten:
- Verlust des Schwerbehindertenstatus bei GdB unter 50
- Wegfall von Steuerfreibeträgen, Zusatzurlaub oder Kündigungsschutz
- Einschränkungen bei Fahrtkosten- und Rehaerstattungen
Gegen eine Herabstufung kann Widerspruch eingelegt werden – idealerweise mit Unterstützung durch ärztliche Stellungnahmen oder Sozialverbände wie VdK oder SoVD.
Was viele nicht wissen
- Der GdB hängt nicht allein von der Diagnose, sondern vom individuellen Gesundheitszustand ab.
- Auch psychische Belastungen, Fatigue oder chronische Schmerzen können zur GdB-Erhöhung beitragen.
- Ein Antrag kann mehrfach gestellt oder aktualisiert werden – z. B. bei Fortschreiten der Erkrankung.
- Ein Gutartiger Tumor kann ebenfalls einen GdB begründen, wenn er zu Funktionseinschränkungen führt.
Fazit: Der Schwerbehindertenausweis schützt – auch wenn man ihn nicht „sieht“
Eine Krebserkrankung ist eine tiefgreifende Veränderung. Der rechtliche Schutzstatus durch einen Schwerbehindertenausweis ist kein Stigma – sondern eine Anerkennung der Belastung und eine Möglichkeit, sich Raum für Genesung, Reha und Lebensqualität zu schaffen.
Patient:innen mit fortgeschrittenem Krebs, schweren Verläufen oder dauerhaften Beeinträchtigungen sollten die Vorteile eines GdB von 100 nutzen – er schützt, erleichtert und gibt Sicherheit in einer unsicheren Lebensphase.
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