Ergotherapie

Wenn handeln heilen hilft

Trotz der immer besseren Heilungschancen nimmt die Zahl der Krebspatienten zu. Daher wird es neben der primären Therapie immer wichtiger, wie Patienten schon währenddessen und in der Nachsorge betreut werden können und ihre Bewegungsfähigkeit erhalten bleibt oder wieder aufgebaut wird.

Warum braucht ein Patient Ergotherapie?

In der Regel sind die Einschränkungen in den Bereichen Koordination und Sensibilität Nebenwirkungen der Chemo- und Strahlentherapie. Kribbeln in Händen und Füßen bis hin zu Taubheitsgefühlen sind keine Seltenheit. Das führt zum einen dazu, dass Betroffene nicht mehr richtig greifen können und daher sehr stark alltagseingeschränkt sind, zum anderen aber führt diese „Behinderung“ immer wieder den Betroffenen vor Augen, dass sie schwer erkrankt sind. Daher haben diese Einschränkungen immer auch schwere psychische Auswirkungen, die nicht zu unterschätzen sind.

Was ist Ergotherapie?

Bei den Sensibilitätsstörungen spielen vorrangig das Gefühl in den Fingerspitzen und das Spüren von Temperaturunterschieden eine wichtige Rolle. Die Betroffenen können zum Teil Oberflächen schlecht unterscheiden. Zum Beispiel fühlt sich weich hart an, kalt fühlt sich warm an, rau fühlt sich glatt an und so weiter. Es kann passieren, dass sie keinerlei Hitze oder Kälte mehr spüren, was sehr gefährlich werden kann, weil darunter auch die Reflexe leiden, beispielsweise seine Hand blitzschnell von der heißen Herdplatte zu nehmen.

Grundsätze auf einen Blick

  • Zum Grundwesen des Menschen gehört das selbständige Handeln.
  • Eine unabhängige Entscheidungsfähigkeit über Aktion und Reaktion gehört zur allgemeinen körperlichen und seelischen Gesundheit.
  • Störungen und Einschränkungen im selbständigen Handeln haben immer auch ganzheitliche Auswirkungen auf die Lebensqualität von Menschen.
  • Das Wiedererlernen von Alltagshandlungen wirkt heilend.
  • Die kompetente Erleben im Alltag wirkt stabilisierend.
  • Ein Behandlungsschwerpunkt ist herauszubekommen, was für den Patienten bedeutsam ist.
  • Beeinträchtigungen sind keine Einschränkung der Persönlichkeit.
  • Lebensqualität kann auch mit Beeinträchtigungen wiedererlangt werden.
  • Selbstbestimmung ist ein Ziel jeder Behandlung.

Die ganzheitliche ergotherapeutische Sicht

Ein wichtiger therapeutischer Ansatz von Ergotherapeuten ist die kognitive Rehabilitation, beispielsweise durch besondere Übungen der Merkfähigkeit, der Konzentration und der Sprache. Dabei spielt im Alltag des Krebspatienten besonders die Aktivierung bereits erlernter alltäglicher Fähigkeiten eine große Rolle.

Gerade bei Krebserkrankungen kann es als Nebenwirkungen der Therapie zu Einschränkungen der Hirnleistung kommen. Die Konzentration lässt nach, man ermüdet schneller, einfache Rechenaufgaben, die früher ohne Probleme gelöst werden konnten, machen nun Mühe. Daher werden gezielt Denkleistung und Konzentration geschult und trainiert. Um aber auch motiviert zu sein, setzt der Ergotherapeut auf ganz individuelle Spiele und Übungen, die sowohl die spielerische Neugier als auch das Glücksgefühl von Erfolgserlebnissen therapeutisch einsetzen.

Ein Beispiel:

Wenn ein Patient früher seinen Kaffee jeden Tag selbst kochte, so nahm er die Kaffeedose vom Schrank. Dann holte er aus der unteren Schublade den Kaffeefilter, füllte dann Wasser aus dem Wasserhahn in den Behälter der Kaffeemaschine und stellte schließlich die Kanne, die er aus einem anderen Schrank nahm unter den Filter und  startete die Maschine. Diese sehr alltäglichen und völlig unspektakulären alltäglichen Routinehandgriffe klappen plötzlich nicht mehr. Der Patient berichtet, wie ihm immer öfter die Kaffeedose aus der Hand fällt, er vergisst, Wasser einzufüllen, den Filter einzusetzen oder wo er die Kaffeekanne hingestellt hatte. Der über Jahre einprogrammierte Prozess scheint verlorengegangen zu sein. Der Ergotherapeut kann nun helfen, mithilfe von Aufmerksamkeitsübungen dem Patienten diese Automatismen bewusst werden zu lassen und nun ehemalige Routinehandgriffe bewusst zu verfolgen und dadurch wieder erlernen.

Es gibt verschiedene Ansätze, mit Koordinations- und Wahrnehmungsstörungen umzugehen. Gezielte Übungen wie z. B. durch den kognitiv-therapeutischen Ansatz nach Prof. Carlo Perfetti dienen der Wiedererlangung von Koordination, Muskelkontraktion und anderen physiologischen Bewegungsabläufen.

Was ist der Unterschied zur Physiotherapie?

Die Übungen innerhalb der Ergotherapie sind patientenindividuell angelegt. Wahrnehmungs- und Sensibilitätsübungen finden genauso Verwendung wie eine konsequente Motivation. Ein wichtiger Ansatz in der Ergotherapie ist den Patienten dazu zu befähigen, entweder mit seinen physiologischen Einschränkungen zu leben oder sie nach und nach wieder zu korrigieren. In der Ergotherapie geht es eher um den Alltagsbezug. Die Anregung erfolgt nicht allein durch abstrakte physische Übungen zum Reaktionsvermögen, Reflexe und Muskelbetätigung. Das Gehirn plant und „denkt“ in zielorientierten Handlungen und nicht in abstrakten Betätigungen. Ein wichtiger Schwerpunkt liegt in der Anregung der kognitiven Fähigkeiten, damit man sich selbst wieder auch physiologisch helfen kann.

Welchen Ansatz verfolgen viele Ergotherapeuten?

Mit speziellen Übungen zur Konzentration, zum Denken, zur Logik und geistigen Flexibilität soll der Patient wieder in die Lage versetzt werden, seine Ängste, aber auch seine Resignation zu überwinden. Viele Patienten berichten über Wahrnehmungsstörungen und einem sensitiven Verlust, sodass sie Oberflächen nicht mehr unterscheiden können.

Manche Patienten schämen sich für ihre Krankheit und weigern sich z. B. einkaufen zu gehen, sauber zu machen oder einfach nur einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Zu resigniert und hoffnungslos sind sie. Dazu kommt oft eine bleierne Müdigkeit und Mattheit, die sehr viel Konsequenz nötig hätte, sich dennoch aufzuraffen. Die Alltagsvereinsamung ist ein großes Problem bei Krebserkrankungen.

Kosten

In der Regel können alle ergotherapeutischen Leistungen vom Hausarzt oder Facharzt verordnet und demzufolge mit der Krankenkasse abgerechnet werden. Eventuell muss der Patient die gesetzlich festgelegte Zuzahlung leisten, wenn er keine Zuzahlungsbefreiung hat. Oft handelt es sich bei der Erstverordnung um einen Regelfall, manchmal ist eine Weiterverordnung sinnvoll und auch möglich.

Fazit

Zentrale Aufgabe neben dem Erlernen der Kompensation gewisser Störungen der Wahrnehmung in den Fingern, wie taktile und sensorische Fähigkeiten, ist die Steigerung der Lebensqualität und die Erlangung einer Unabhängigkeit. Dabei geht es in erster Linie immer um eine ganzheitliche Sicht. Das heißt im speziellen Falle der Ergotherapie, dass viele physiologischen Einschränkungen auch kognitive Defizite oder Blockaden als Ursache haben können.

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