Gut gemeint und gut gemacht

Wie Umstehende Betroffenen wirklich helfen

Erhält ein geliebter Mensch eine Krebsdiagnose, verfällt das Umfeld in zwei Extreme – absoluter Rückzug oder überschwängliche Hilfe. Erstere wollen nicht noch zusätzlich belasten, letztere wollen verhindern, dass es den Patienten an irgendetwas mangelt. Doch gute, liebevolle, nützliche Hilfe für Krebserkrankte will gut durchdacht sein. Wie es sich anfühlt, wenn das Umfeld es zu gut meint und wie Angehörige und Freunde eine echte Hilfe sein können, erzähle ich hier.

Es ist okay, auch mal „Nein“ zu sagen

Überschwängliche Hilfe kann Betroffene manchmal echt in Not bringen – weil es sie überfordert, sie betreten macht oder es einfach nur am Ziel vorbeischießt. Es ist ok, in solchen Momenten zu sagen: „Nein, danke! Ich weiß, du meinst es gut, aber das brauche ich jetzt nicht“.

Für Umstehende kann es schwierig sein zu wissen, welche Hilfe Krebspatienten und ihre Familie wirklich brauchen. Ich kann euch nur sagen: Fragt nach! Manchmal ist es mit einer Umarmung und einer Tasse Kaffee schon getan. Zu einem anderen Zeitpunkt wiederum kann das bereits zu viel sein. Deshalb sprecht mit den Betroffenen und hört aufmerksam zu. Das gekochte Lieblingsessen an einem schwierigen Tag ist so oft so viel mehr wert als die aufwendig organisierte Spendenaktion.

„Was brauchst du?“ – Wenn eine Tasse Kaffee die Welt bedeutet

Meiner besten Freundin werde ich bis in alle Ewigkeit dankbar sein. Sie war diejenige, die kompromisslos, bedingungslos und dabei immer bedürfnisorientiert geholfen hat, als der Krebs drauf und dran war, mich in die Knie zu zwingen. Sie kam und sie kochte, sie kam und sie tröstete, sie kam und rief meine Schwiegermama an, als klar war, dass der nächste Weg ins Krankenhaus führte. Bis heute liebe ich keinen Menschen außerhalb meiner Familie so sehr wie sie.

Zu keiner Zeit zwang sie uns irgendetwas auf. Stattdessen fragte sie immer wieder nach, was wir brauchen. Ob wir etwas brauchen. Kurz nach meiner Diagnose, als wir gerade sehr zerstritten waren und Monate lang nicht gesprochen hatten, war ihre erste Nachricht: „Was brauchst du?“ Am nächsten Tag kam sie, trank mit mir Kaffee, brachte Mittagessen. Sie hörte einfach zu und überschüttete uns nicht mit Ratschlägen. Bis heute kenne ich niemanden, der so differenziert hilft wie sie.

Hilfe für Krebspatienten hat viele Gesichter und nicht immer ist alles, was gut gemeint ist, auch gut gemacht. So unvorhersehbar wie die Therapie sind auch die Bedürfnisse in dieser Zeit. So individuell wie jede betroffene Person sind auch die Wünsche nach Hilfe. Umstehende sollten nicht erstmal machen, sondern fragen. Krebspatienten müssen nicht nur nehmen, sondern auch mal „Stop!“ sagen.

Spenden sind schön, aber nicht immer gut

Wir selbst erlebten eine riesige Welle an Hilfsbereitschaft, als ich in der Chemotherapie war. Viele Menschen halfen uns mit den Kindern, mit dem Haus, mit unserem Alltag. Ebenso erfuhren wir massenweise Unterstützung, als ich auf der Suche nach einer Babytrage war, die den Port nicht belastete. Doch in all den Hilfsangeboten machten wir auch die Erfahrung, dass gut gemeint nicht immer gut gemacht war.

In einer Gruppe für gebrauchte Babytragen wurden beispielsweise Spenden für uns gesammelt, deren Ausmaß irgendwann den Rahmen des gut Gemachten überschritten. Auf ein erstes Paket, mit der Babytrage und allerlei Niedlichkeiten gefüllt, folgte ein zweites: Ein Paket mit sehr teurem Kinderzimmerzubehör, dass ich meinen Kindern niemals gekauft hätte. Mittlerweile lieben die Kinder die Sachen, und ich bin dankbar, dass wir sie haben. Aber zu dem Zeitpunkt, zu dem sie kamen, hätten wir die knapp 200 Euro, die darin steckten, anders gebrauchen können. Allerdings hat man uns nicht gefragt. Selbst der Einwand meiner besten Freundin, ob das so zielführend sei, wurde seitens der Initiatorinnen übergangen. Das Paket hinterließ in mir ein schales Gefühl: Einerseits freute ich mich über die Aufmerksamkeit, andererseits ging das Ganze völlig an unseren Bedürfnissen vorbei.

Immer wieder brachten Bekannte und Familie Essen vorbei, Kuchen, Süßigkeiten. Man wollte uns wissen lassen, dass wir nicht allein waren. Wir sollten uns nicht um so etwas wie Essen kümmern müssen. Einiges von dem, was kam, war allerdings nicht hilfreich. Entweder traf es nicht unseren Geschmack oder es enthielt sogar Dinge, gegen die ich allergisch war. Häufig kamen solche Aufmerksamkeiten auch, wenn wir sowieso bereits für die kommende Woche eingekauft hatten. Mehr als einmal steckten wir in dem Dilemma, dass wir mehr Essen hatten, als wir selbst verbrauchen konnten.

Erdrückt von zu viel Hilfe

Irgendwann fühlte ich mich von zu viel Hilfe erdrückt. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, fühlte mich verpflichtet, es wett zu machen, freute ich mich nicht richtig, weil die Aufmerksamkeit an dem vorbei ging, was ich brauchte, fühlte ich mich schuldig.

Zum Winter hin lernten wir, lernte ich schließlich, „Nein“ zu sagen. Unsere Heizung ging kaputt und schneller als ich gucken konnte, wurden mehrere Spendenkonten eröffnet und Heizungsfirmen abtelefoniert. Ich weiß, wie gut die Menschen um uns herum das meinten – aber das wollten wir nicht. Wir wollten kein Geld für eine Heizung annehmen und vor allem wollten wir selbst Verantwortung für unser Leben übernehmen. Ja, Entlastung war gut und nötig. Aber wir fühlten uns mittlerweile wie Kinder, denen man keinen Alltag mehr zutraute.

Also sagten wir: „Nein. Danke, aber nein“. Je öfter wir das taten, desto einfacher wurde es. Wir lernten, zu kommunizieren, was wir wirklich brauchten, wo Hilfe nötig war. Gleichzeitig signalisierten wir offen, wann wir Hilfe brauchten und wann wir ganz gern unter uns blieben. Dieses Verhalten machte es für alle einfacher: Für uns, die Hilfe anzunehmen, und für die anderen, die nun wussten, was sie tun konnten.

Mutmacher
Mein Rat an alle Betroffenen: Sagt deutlich, was ihr wollt und braucht. Dazu gehört auch, ruhig einmal „Nein“ zu sagen, wenn die Hilfe zu viel wird oder das Ziel verfehlt. Es ist ok. Eure Erkrankung verpflichtet euch nicht per se zu Dankbarkeit. Mein Rat an alle Umstehenden: Sprecht! Fragt nach! Hört aufmerksam zu! Bezieht die Patienten und ihre Familien in eure Hilfsangebote mit ein. So kommt die Hilfe da an, wo sie gebraucht wird.

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