Leben mit der Angst

Nach der Chemo ist vor der Nachsorge

Bereits die Chemotherapie ist eine emotionale Achterbahn. Doch selbst in Remission ist die Belastung für viele Patienten noch nicht ausgestanden. Plötzlich scheint sich das Jahr nicht mehr in Feiern, sondern in die Nachsorgeuntersuchungen zu unterteilen. Wie es sich anfühlt, wenn man von CT-Termin zu CT-Termin lebt und wie man damit umgehen kann, erzähle ich hier.

„Die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann…“

Mit der Ungewissheit zu leben, ist schlimm. Aber es muss uns nicht in die Knie zwingen. Gerade ein Rezidiv können wir genauso wenig verhindern, wie wir es herbeiführen können. Deshalb darf die Angst unser Leben nicht beherrschen. Machen wir sie viel mehr zu einer Freundin, die wir zu uns an den Tisch bitten. Laden wir sie ein – sie wird sowieso unser Gast sein.

Fülle die Zeit zwischen der Chemotherapie und der Nachsorgeuntersuchung mit schönen Dingen aus. Du hast es so weit geschafft – Dein Leben geht weiter! Lass Dir nicht von Unwägbarkeiten Dein hübsches Lächeln aus dem Gesicht wischen. Wird die Angst zu groß, sprich darüber. Freunde und Familie stehen ähnliche Ängste aus, immerhin wollen sie Dich nicht verlieren. Andere Betroffene kennen die Ängste und wissen, was diese Überlebensangst mit Dir macht.

Höre Dir selbst gut zu. Wie geht es Dir? Unser Körper macht sich in der Regel recht schnell bemerkbar. Solange es keine Anzeichen gibt, die Dir ernsthaft Sorgen machen, ist bestimmt alles in Ordnung. Hab Vertrauen in deinen Körper, in die Medizin und allen voran in Dich!

Von absoluter Verdrängung bis hin zu blanker Panik

Der Tag, an dem ich die offizielle Bestätigung meiner Remission erhielt, erscheint mir wie aus einem anderen Leben. So viel ist in der Zwischenzeit passiert. Ich habe mich kopfüber zurück ins Leben gestürzt. Nicht mal vier Wochen nach dem offiziellen Ende meiner Akutbehandlung habe ich wieder am Schreibtisch gesessen und gearbeitet. All das, was mir passiert war – die Chemotherapie, die Schmerzen, die Angst, der Krebs – waren plötzlich nur noch ein böser Albtraum. Die Haare wuchsen, die Kräfte kehrten zurück, das Leben ging weiter.

Im Hinterkopf allerdings war mein Jahr viergeteilt. Als Morbus-Hodgkin-Patientin gehe ich zunächst einmal im Quartal zur Nachsorge. Port spülen und die Blutwerte überprüfen sind dabei noch die eher harmloseren Angelegenheiten. Wirklich gruselig ist das CT. Es ist der finale Richterspruch: Habe ich das Quartal krebsfrei überstanden? So teile ich mein Jahr nicht in Geburtstage, Urlaube oder Jubiläen. Stattdessen plane ich von Nachsorge zu Nachsorge.

Die Nachricht über meine Remission erhielt ich im Januar, die erste Nachsorge war also im April angesetzt. Zunächst war ich gut darin, die einzelnen Wochen mit Leben zu füllen. Mein Kopf war so voll mit der Arbeit, mit meinen Kindern, mit unserem Familienleben, dass nichts anderes Platz darin hatte. Aber je näher der April kam, desto größer wurde die Angst. Nacht um Nacht lag ich wach. An manchen Tagen blieb nichts als blanke Panik.

Bin ich nach wie vor krebsfrei?

Hat der Krebs vielleicht sogar gestreut?

Eine weitere Chemotherapie überstehe ich nicht!

Der Angst den Kampf ansagen – Ich bin eine Hydra

Am Abend des CTs, als ich meinen Sohn zu Bett brachte, dachte ich mit einem Mal: „Ich überstehe das nicht. Ist dieses Mistvieh von Krebs zurück, übersteh ich das nicht. Das macht mich kaputt.“ Für mich war auf einmal glasklar, was ein Rezidiv bedeuten würde. Wieder Chemotherapie, wieder kämpfen, wieder hoffen. Nur mit dem Unterschied, dass ich dieses Mal ganz genau wusste, was mich erwarten würde.

Ich kenne die Schmerzen, wenn die Schleimhäute so sehr entzündet sind, dass selbst ein Schluck Wasser im Mund brennt wie Feuer. Ich weiß, welche Schmerzen Neulasta verursacht, wenn die Leukozyten komplett den Dienst quittieren. Ich fühlte bereits die Schwäche, wenn die Blutbildung unter der Chemotherapie völlig zusammenbricht. Ich sah bereits die Scham, die nackte Wahrheit, wenn durch die Medikamente alle Haare, Wimpern und Augenbrauen ausfallen.

Noch nie in meinem Leben hatte ich solch eine Angst wie zu diesem Zeitpunkt. Ein positives CT, also ein CT mit dem Befund eines Rezidivs, ist mein schlimmster Albtraum.

Mein Sohn gab mir ungeahnte Kräfte

Während ich neben meinem Sohn lag, der leise atmete und mit einem Frieden schlief, den nur kleine Kinder kennen, beschloss ich, der Angst den Kampf anzusagen. Bislang war ich immer wieder aufgestanden. Keine Situation in meinem Leben hatte mich bisher endgültig niederringen können – nicht einmal das Lymphom. Jetzt, wo alles offen war, würde ich nicht aufgeben, bevor die Schlacht geschlagen war.

Am nächsten Tag schrieb ich auf Instagram: „Ich bin eine Hydra. Schlägst du mir den Kopf ab, wachsen mir zwei neue nach.“ Ich glaube fest, dass wir Krebspatienten uns genau dadurch auszeichnen: Wir sind stark, wir sind hartnäckig, wir glauben nicht an ein unfreiwilliges Ende.

Freunde und Familie zu Komplizen machen

Ich habe mir Freunde und Familie nun zu Komplizen gemacht. Immer dann, wenn es auf die Nachsorge zugeht, spreche ich offen über meine Ängste und Sorgen. Der größte Feind der Angst ist die Liebe. Die bedingungslose Unterstützung meiner Liebsten hilft mir, die bangen Tage zwischen dem CT und der Bekanntgabe des Ergebnisses zu überstehen. Ich verdränge nicht, aber ich fülle mein Leben mit schönen Dingen, damit die Angst nicht überhand gewinnt. Möge die nächste Nachsorge kommen – ich weiß, was ich bis hierher erreicht habe.

Mutmacher
Mein Rat an alle Betroffenen: Füllt die Zeit vor der Nachsorgeuntersuchung mit schönen Dingen! Je mehr Ihr euch auf den anstehenden Nachsorgetermin konzentriert, desto größer wird die Angst. Wichtig ist, sich vor Augen zu halten, dass wir es nicht in der Hand haben. Das Rezidiv lässt sich im Zweifelsfall nicht aufhalten. Was wir aber in der Hand haben, ist unsere Lebensqualität jetzt in diesem Augenblick. Lasst Euch also nicht aufhalten, sondern genießt jeden Tag.

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