Der Krebs und das Internet

Zwischen Solidarität und Abgrenzung

Die sozialen Netzwerke bieten Krebspatienten einen entscheidenden Vorteil: Sie können sich vernetzen und erleben gewisse Schritte in der Therapie am Beispiel Anderer hautnah mit. Wir informieren, unterstützen und ermutigen uns gegenseitig. Wer offen mit seiner Erkrankung im Netz umgeht, wird zum Beispiel für andere. Doch zwischen dem Wunsch, anderen Mut zu machen, und den zahlreichen Nachrichten anderer Erkrankter geht eines schnell verloren: Die Abgrenzung. Ich erzähle, wie ich selbst Solidarität, Hilflosigkeit und Anklagen erlebt habe, und wie ich gelernt habe, mich abzugrenzen.

Das Wichtigste vorweg: Du hast ein Recht auf deine Stimme. Gerade die sozialen Netzwerke bieten uns die unfassbar wertvolle Möglichkeit, Schicksale sichtbar zu machen und das zu offenbaren, was in den Hochglanzmagazinen eher verborgen bleibt. Deshalb ist es gut und gesund, dein Leid mit der Welt zu teilen, wenn es dir hilft, es für dich zu verarbeiten. 

Es ist aber ebenso so wichtig und gesund, dich abzugrenzen. Menschen werden das Bedürfnis haben, ihren Weg ebenfalls mit dir zu teilen. Sie werden dir Fragen stellen und dich um Hilfe bitten. All das ist natürlich. Achte auf dich und lass dich nur soweit auf diese Kontakte ein, wie es dir persönlich guttut. Krebs ist kein Schnupfen. Deine persönliche Genesung steht im Mittelpunkt.

Anderen ein Vorbild sein – Identifikationsfläche schaffen

Als ich die Krebsdiagnose bekam, erhielt ich eine Menge Termine. Unter anderem waren das erste CT sowie die Knochenmarkpunktion geplant. Mein Onkologe kündigte diese mit den Worten an: „Das ist nicht nur unangenehm, das tut schon weh“. Ich hatte Angst.

Wohin sollte ich nun mit dieser Angst? Ich tat das, was ich schon immer tat, wenn mir etwas nicht behagte: Ich suchte nach Informationen. Als waschechte Millennial waren die sozialen Netzwerke meine erste Anlaufstelle. In der Hoffnung, Menschen zu finden, die vor mir an genau DIESEM Punkt standen, probierte ich verschiedene Hashtags, googelte nach Accounts von Krebserkrankten, suchte nach Verbündeten im Kampf gegen den Lymphdrüsenkrebs. Ich fand – nicht viel. 

Krebs ist nicht nur in der Gesellschaft ein Tabu, es ist auch auf Social Media ein Thema, das erst langsam an Sichtbarkeit gewinnt. Die Frage danach, wie die Knochenmarkpunktion abläuft und wie weh das nun wirklich tut, hat online noch niemand beantwortet. Der Fun Fact dabei: Auch ich nicht. Obwohl ich tat, was für viel Stirnrunzeln auf der einen und Beachtung auf der anderen Seite sorgte: Ich machte mein Krebsleiden öffentlich und fing an, meine Krankheit zu dokumentieren.

Warum? Für mich ist diese Antwort auch heute noch ganz einfach: Weil ich anderen, die nach mir diesen Weg gehen müssen, zeigen wollte, wie das ist. Und dass man es überleben kann.

Ich will und wollte eine Identifikationsfläche schaffen für all diejenigen, die ebenso jung und naiv in eine Krebserkrankung hineinstolpern und die sich nach einem Licht am Wegesrand sehnen, das sie durch die Dunkelheit leitet. Von den Voruntersuchungen über die Portlegung bis zum Beginn der Chemo und durch die dunkelsten Stunden hindurch habe ich alles auf meinem Instagram-Account dokumentiert und es festgehalten, damit es dort steht, wenn eine andere Person nach dem Schlagwort #morbushodgkin sucht. 

Das Leiden der anderen

Je öffentlicher und häufiger ich von meinem Leiden berichtete, desto mehr sammelten sich die Nachrichten in meinen Postfächern. Manch einer wollte mir vermeintliche Heilmethoden verkaufen, andere zweifelten die Richtigkeit meiner Diagnose an, die meisten wünschten mir nur das Beste und ein paar wenige – ja ein paar wenige litten mit. Tatsächlich. Weil sie selbst gerade die Diagnose erhalten hatten oder auf dem besten Weg dorthin waren. 

Auch in der Liste meiner Follower gab es immer mehr Krebspatienten. Man las sich, erkannte sich, verstand sich. Wie ätzend Cortison beizeiten ist und welche Kraft die Chemo kostet, das verstehen am Ende nur die, die diesen Weg selbst gegangen sind. Zu keinem Zeitpunkt meiner Geschichte möchte ich die Menschen missen, die ich aufgrund dieser Gemeinsamkeiten kennengelernt habe.

Es gab aber auch die Verunsicherten. Diejenigen, bei denen ein Arzt den Verdacht auf den Krebs als Differenzialdiagnose in den Raum geworfen hatte und die nun bange Tage erlebten. Sie fingen an zu fragen. Nach Symptomen, nach Behandlungen, nach persönlichen Erfahrungen. Zu Beginn half ich wo ich konnte, verstand das Bedürfnis nach diesem Austausch so gut. Aber: Je mehr es wurden, desto mehr Betroffene mir diese Fragen stellten, desto müder wurde ich.

Ich wollte ja helfen. Aber ich konnte es irgendwann nicht mehr. Die Krebstherapie selbst kostete mich alles, was ich hatte. Gleichzeitig wollte ich für meine Kinder da sein, so gut ich eben konnte. Zusätzlich war es emotional jedes Mal belastend, wenn ich anfing, die Geschichte für eine neue Followerin von vorne zu erzählen. 

Manch einer versuchte aus meiner Präsenz einen Anspruch zu formulieren. Wenn ich nicht gefragt werden wollte, sollte ich meinen Weg nicht so breittreten. Doch mein Problem waren nicht die Fragen: Es war vielmehr die Unfähigkeit, andere emotional zu stützen, während ich selbst zusehends strauchelte. Wer online Reichweite erzeugt, wer persönliche Kontakte zulässt, gerät auch immer in ein gewisses Maß an Verantwortung. Nicht nur die anderen erwarten, dass man sie an die Hand nimmt. Ich habe es von mir selbst erwartet. 

Irgendwann gestand ich mir ein, dass ich das nicht länger konnte. Ich antwortete unverbindlich, wünschte alles erdenklich Gute, verwies im Zweifel auf bereits erstellte Postings. Aber ich ließ Kontakte nicht mehr zu. Verwies im Zweifel auf Psychoonkologen oder Seelsorger aus der Gegend, weil ich wusste: Ich kann sie nicht tragen. Die Verantwortung für meine eigene Gesundheit war mir an manchen Tagen schon zu viel. 

Die Anklage der Geltungssucht

Es gab allerdings neben der Unterstützung und den Hilfesuchenden auch eine dritte Fraktion, eine, die uns im Internet immer häufiger begegnet: die Anklagenden. Sie kamen und sie unterstellten mir, meine Erkrankung aus reiner Geltungssucht so zu präsentieren.

Nicht nur von Fremden hörte ich, dass ich mich als Opfer inszenieren würde. Dass ich ja doch nicht so krank sein könne, wenn ich noch die Kraft finde, mein Leiden online zu teilen. Es waren bitterböse Vorwürfe, die mich für einige Zeit an all dem zweifeln ließen, das mir wichtig war.

Heute weiß ich: Dieser Vorwurf dreht sich weniger um mich als um die Anklagenden selbst. Mit einer Geschichte wie meiner geht selbstverständlich auch eine gewisse Aufmerksamkeit einher. Diejenigen, die mich anklagten, vermissten die Aufmerksamkeit selbst und gönnten sie mir nicht. Ihnen fehlte das Verständnis für die Komplexität von chronischen Erkrankungen und in ihrem Frust fanden sie in mir leichte Beute. Heute kann ich sagen: Ich stehe darüber.

Die Zeit heilt nicht alle Wunden – aber einige

In dieser Woche habe ich meinen ersten zweiten Geburtstag gefeiert. Ein Jahr tumorfrei. Je mehr Abstand ich zu all dem gewinne, desto leichter fällt es mir, all das Erlebte zuzulassen. Bekomme ich heute eine Nachricht von jemandem, die am Beginn der Reise steht, mit der Diagnose konfrontiert und völlig verunsichert, kann ich aufmunternde Worte finden. Nachrichten, in denen es ganz offenkundig um eine Krebserkrankung geht, kann ich leichter wieder zulassen als damals, während ich mittendrin steckte. Ich habe nicht mehr allzu sehr das Bedürfnis, mich dabei zu verstecken. Doch ich habe auch gelernt: Es ist mein Weg, meine Krankheit, mein Erleben. Ich darf es teilen und dennoch zuerst nach mir selbst schauen.

MutmacherMein Rat an alle Betroffenen: Nutzt die Kommunikationswege, die euch gut tun. Wenn eine Dokumentation in den sozialen Netzwerken euer Weg ist, damit umzugehen, ist das fein und völlig legitim. Wollt ihr online am liebsten völlig verschwinden, solange der Krebs euch heimsucht, ist das genauso in Ordnung. Niemand kann und darf euch zwingen, euch sichtbar oder unsichtbar zu machen. Entscheidet ihr euch für einen offenen, transparenten Weg, seid ihr vor allem euch selbst verpflichtet. Ihr müsst euch nicht rechtfertigen. Ihr müsst anderen nicht beistehen, nur weil sie das gleiche erleben und ihr so offen darüber sprecht. Ihr dürft euch abgrenzen.

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